2021-06-30
Am 28. Juni fand – coronabedingt nach längerer Zeit wieder in den Räumen der Österreichischen Kulturvereinigung! – die Präsentation des Bandes 7 der wissenschaftlichen Reihe des Wieser-Verlages statt: „Grenzen und Ränder. Vierzehn Beiträge zu Überschreitungen und Hindernissen“. Das Werk ist die Verschriftlichung unseres nicht stattgefundenen Kongresses 2020.
Die Präsentation fand in Form einer Dreifachkonferenz der Herausgeber Michael und Maria Dippelreiter sowie ÖKV-Präsident Prosl statt. Besonders gefreut hat es uns, dass von den Autoren Dr. Indjein, Dr. Corazza und Mag. Honcik teilgenommen haben.
Am Beginn der Power-Point Präsentation erinnerten die Herausgeber an die Umstände der Herstellung des Werkes und dankten den Autoren ausdrücklich für die rechtzeitige und problemlose Übermittlung ihrer Texte sowie dem Wieser-Verlag für die traditionell ausgezeichnete Zusammenarbeit. Und gingen dann in medias res: „Grenze ist ganz außen, dort wo etwas hinunterfällt – und Rand ist weiter innen, wo man es noch gefahrlos hin- und herschieben kann. Grenzen sind eindeutig, Ränder mehrdeutig.“ Im Editorial de-finieren die Herausgeber, ziehen also bewusst auch Grenzen zwischen Begriffen: „Ohne Grenzen geht es nicht, will man nicht durch schwammige Begriffe in die Gefahr des Aneinander-vorbei-Redens geraten“.
Anschließend wurden die Texte der Autoren in der Reihe präsentiert, wie sie beim Kongress vorgesehen waren:
Indjein: „Träumen wir eigentlich alle von der Unbegrenztheit oder lieber doch von einer heimeligen, schnuckeligen Grenze, die, nehmen wir ein aktuelles Beispiel, ein neues grünes Biedermeier umgeben könnte?“ Pritz spricht von „realen“ im Gegensatz zu „symbolischen“ Grenzen, sowie davon, dass auch das Selbst seine Grenzen hat und verteidigt. Für ihn sind Grenzen ein Paradoxon – sie trennen und verbinden gleichzeitig. Macaria geht auf Spurensuche entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs und setzt sich mit der Peripherie auseinander, Adelsgruber spricht über die Republik Moldau am Rande Europas, ein Blick von dorther bietet den Vorteil der Multiperspektivität.
Für Girtler, der sich mit Randkulturen beschäftigt, in denen ein besonderer „Drang nach Würde“ herrscht, sind Grenzen nicht nur negativ: „Grenzen sind notwendig, denn Grenzen bieten auch Schutz gegenüber Außenstehenden beziehungsweise Fremden an. Grenzen sind jedoch fatal, wenn andere Menschen durch sie gedemütigt werden sollen. Grundsätzlich allerdings sind Grenzen dann wichtig, wenn Menschen sich zurückziehen oder eine Distanz zu anderen aufbauen wollen, um vor allem psychisch überleben zu können.“
Weigl beschreibt die Bekämpfung der Seuchen im Mittelalter durch Ab- und Ausgrenzung mit einer Art Betretungsverbot, wodurch eine Grenze entsteht, wo bisher keine war – die Parallelen zur heutigen Situation sind frappant! Bei Reisinger geht es um Umweltprobleme und Lebensqualität in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten. Dazu braucht man ein System mit Platzzuweisungen, eine Binnenstruktur und Grenzen, die die Kommune zu gewährleisten hat.
Simscha berichtet über Burnouterlebnisse, also Situationen „am Rand“ des Überlebens und reflektiert kritisch, dass es nicht genügt, den Menschen zu „vermessen“, zu exkludieren, zu reparieren und zu re-inkludieren, denn das Subjekt leidet, auch unter der zugewiesenen pathologischen Signatur. Corazza & Honcik begeben sich auf eine philosophische Spurensuche zu den Grenzen der Bildsamkeit zwischen Hochbegabung und intellektueller Behinderung und interpretieren in diesem Zusammenhang Grenzen und Ränder als eine „Geschichte des Vermessens“.
In seinem Beitrag „ÖsterrREICH – ÖsterARM – Grenzen und Ränder bei Armut und Reichtum“ verweist Wallner auf die hochemotionale Aufladung der äußeren Ränder: Wer ist arm, wer ist reich? Das alles sei nicht schicksalshaft in Stein gemeißelt. Aber durch welche Maßnahmen können die Ränder beweglich werden?
Als „Ambassador at Large for Roma People“ plädiert auch Salm-Reifferscheidt für Respekt und stellt dar, wie man Ausgegrenzte integrieren, wie man aus Grenzen Ränder machen und diese Ränder mehr in die Mitte rücken lassen kann, denn „es ist zu wenig, wenn immer nur der Antiziganismus und die Diskriminierung der Roma angeprangert wird, ohne das Problem an der Wurzel zu packen. Wir müssen diesen liebenswerten und äußerst talentierten Menschen die Möglichkeit geben, aus ihrer Apathie auszubrechen und ein zufriedenes und verantwortungsvolles Leben in unserer Gesellschaft zu führen“.
Schließlich verdeutlicht Berger, Sozialwissenschaftler Philosoph, die Ambivalenz beim Blick über den Zaun und die Gefühle zwischen Sehnsucht und Furcht bzw. die Fragen hinsichtlich des Bleibens oder Durchbrechens. Und schließt damit irgendwie den Kreis.
Es war ein spannender, zum Nachdenken anregender Abend!