Rasche Bildungsrevolution gefordert
Mit einem Plädoyer des deutschen Starphilosophen Richard David Precht für eine rasche Bildungsrevolution endete der hochkarätig besetzte 18. Wiener Kulturkongress der Österreichischen Kulturvereinigung am 6. November in der Diplomatischen Akademie.
Der Einleitungsvortrag von VK a.D Dr. Hannes Androsch und das danach geführte Gespräch mit dem Chefredakteur der „Furche“, Mag. Mitlöhner, konzentrierten sich auf die Forderungen des seit drei Jahren betriebenen Bildungsvolksbegehrens. Der streitbare Politiker unterstrich dabei, daß er auch in Zukunft nicht locker lassen werde.
VK a.D Dr. Hannes Androsch im
Gespräch mit Mag. Mitlöhner Starphilosoph Richard David Precht fordert
eine rasche Bildungsrevolution
Zwischen diesen beiden Eckpunkten diskutierten ExpertInnen aus Wissenschaft und Ministerialbürokratie sowie VertreterInnen aus Wirtschaft und Forschung über die notwendigen Veränderungen des österreichischen Bildungssystems, um in der Zukunft bestehen zu können (Videozusammenfassung).
Chancen nutzen: Von frühkindlicher
Erziehung bis zu FHs und Unis
Die wissenschaftliche Leiterin des Charlotte Bühler-Insitutes, MMag. Birgit Hartel, legte in ihrem Beitrag „Von einem Volk, das auszog, einen Schatz zu heben“ die Chancen dar, die in einer adäquaten frühkindlichen Erziehung für Österreich stecken. MR Mag. Horschinegg (BMUKK) wies in einem überzeugenden Referat auf die Vorteile der berufsbildenden Schulen hin, die an die 80 % der öffentlichen Schulen (gegenüber 20% AHS) ausmachen, über deren Erfolge aber im öffentlichen Diskurs kaum gesprochen wird, während sich der Kurator der Stiftung „Theresianische Akademie“, Dr. Stephan Nagler, mit Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit an den österreichischen Gymnasien auseinandersetzte.
Die Rektorin der Pädagogischen Hochschule Steiermark, Frau Dr. Elgrid Messner, und Frau Mag. Dr. Andrea Holzinger stellten die Bedutung der Professionalisierung des Lehrberufs vom Kindergarten bis zur Matura in den Vordergrund und der Rektor der FH des bfi in Wien, Dr. Andreas Breinbauer, diskutierte mit der Vizerektorin der Universität Salzburg, Univ. Prof. Dr. Sylvia Hahn, über die zunehmende Konkurrenz aber auch Zusammenarbeit der Fachhochschulen mit den Universitäten.
Bildungsbegriff in Frage stellen,
Blockaden überwinden
Im Segment „Bildung per se versus Bildung um zu“ stellte Univ. Prof. Dr. Rudolf Burger unter der bewährten Moderation von Hans Rauscher den Bildungsbegriff an sich in Frage, während der Bildungsforscher Dr. Rainer Bölling aus Düsseldorf vor einem Akademisierungswahn warnte, der zu keinen besseren Ergebnissen der Volkswirtschaften führe, wie Vergleiche zwischen Frankreich, Spanien und Italien mit Deutschland beweisen. Überzeugend referierte der ehemalige Sektionsschef Dr. Sigurd Höllinger über die Blockierungen und versteckten Interessen, die notwendige Veränderungen in der heutigen Bildungspolitik verhindern, durch welche auch bildungsfernen Schichten eine entsprechende Ausbildung ermöglicht werden kann.
‚Rohstoff‘ Bildung richtig nutzen
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Prof. Dr. Michael Hüther, unterstrich die wirtschaftlichen Vorteile der dualen Berufsausbildung für den deutschsprachigen Raum („D,A,CH“), die sich in den niedrigen Jugend-Arbeitslosenraten niederschlagen. Hier sei allerdings auch ein effizientes Zusammenspiel von Ausbildung und Unternehmen notwendig, wobei letztere entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung stellen müssen.
Für die heute produzierte hochwertige Technologie sind jedenfalls Fachkräfte erforderlich, vor allem in den Bereichen der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). In das gleiche Horn stieß der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Mag. Christoph Neumayer, der eine Förderung der Kreativität der Schüler verlangte und daran eirnnerte, daß Österreichs Reichtum mangels Rohstoffen zu 84% auf sein Humankapital zurückzuführen sei.
Ass. Prof. Dr. Gert Bachmann wandte sich vehement gegen eine „Bildungsbulimie“, die nur darauf ausgerichtet sei, den geforderten Stoff zu inhalieren, um ihn dann wenig später wieder zu vergessen. Es gehe darum, reife, d.h. denkende Studenten heranzubilden, statt sie in eine „erlernte Hilflosigkeit“ zu entlassen.
Uralte Strukturen und
Ideologien überwinden
Richard David Precht nannte Internet, Smartphone und die kommende Google-Brille, die eine rasche Anpassung „unserer teilweise uralten Strukturen an die Technik des 21. Jahrhunderts“ erforderten. Basiswissen sollte über das Internet erlernt werden, dafür „brauchen wir keine traditionellen Schulklassen“. Das überkommene Lernsystem solle durch „themenbezogenes und themenübergreifendes Projektgruppenlernen“ ersetzt werden, dies komme Neigungen und Talenten einzelner Schüler und Studierender am ehesten entgegen.
SchülerInnen und StudentInnen müssten aus ihrer passiven Rolle herausgelöst und in eine aktive Rolle übergeführt werden. Das Arbeiten in Projekt- bzw. Themengruppen fördere überdies Solidarität und Sozialkompetenz der Studierenden. Für Allgemeinbildung sei eine Lanze zu brechen, aber nicht für „angelerntes Wissen, das man kaum verstanden und nach Prüfungen daher bald wieder vergessen hat“. Begabungen seien zu fördern, dies geschehe aber nicht dadurch, dass man sie „mit Wissen vollstopft“, sondern indem man ihren Talenten thematisch und methodisch entgegen komme.
Diskussionen über Ganztags- und Gesamtschule hielt Precht für einen „Ausfluss der Ideologien von gestern“, statt dessen sei es zielführender, etwa über eine Kindergartenpflicht ab dem 3. Lebensjahr zu diskutieren.