Unter westöstlichem Himmel. Unser Bild von Russland. _ Gabriele Stotz-Ingenlath _ Markus Ingenlath _ Franz Cede _ Christian Prosl _ 10. März 2025

Aktuell

Unter westöstlichem Himmel. Unser Bild von Russland.

Worte von Dr. Markus Ingenlath nach dieser Veranstaltung:

Moskauer Winter

Die Gedichte zu diesem Thema erinnern daran, dass der Mensch in Russland immer schon – lange vor dem 20. Jahrhundert und der Entstehung des „homo sovieticus“ – nicht nur mit mannigfaltigen Fallstricken eines menschenfeindlichen politischen Systems, sondern auch mit den Widrigkeiten einer besonders im Winter menschenfeindlichen Natur zu kämpfen hatte.

Passend zu den Gedichten zum Moskauer Winter können wir aber auch in politischer Hinsicht von einer neuen Eiszeit unter dem System Putin sprechen – im Inneren der Russischen Föderation wie auch in den Außenbeziehungen zur westlichen Welt. Die zentrale Frage dieses Abends, voll von Eindrücken aus den Jahren 2002 – 2005, aber auch vieler Menschen aus dem Westen, die damals in Russland lebten oder enge Beziehungen dorthin hatten lautete:

War die spätere Entwicklung bis heute bereits damals _ 2002 bis 2005 _ vorhersehbar? 

Die Antwort fällt zweigeteilt aus, ja und nein:

Ja, die heutige Entwicklung Russlands hin zu einer Diktatur, die nach Ausschaltung der innenpolitischen Widerstände auch zur Gefahr für die Nachbarn werden könnte, war sehr früh zumindest in Grundzügen absehbar:

Das Menschenbild, das aus dem Handeln der staatlichen Organe der Russischen Föderation ersichtlich wurde, war mit dem Konzept der Menschenwürde des Westens nicht kompatibel, denn der Wert eines Menschenlebens war gleich Null: Dies konnte man bei der sogenannten Anti-Terroraktion in Tschetschenien beobachten, aber auch bei den Geiselbefreiungen in der Schule Nr. 1 in Beslan im russischen Teilgebiet Nordossetien-Alanien und im Theater NordOst in Moskau. Dutzende Geiseln überlebten das Handeln der russischen Spezialkräfte nicht, weil das Hauptaugenmerk auf der Liquidierung der Geiselnehmer lag.

Das Prinzip des Primats des Rechtsstaates wurde von den höchsten Organen der Exekutive und Judikative nur eingeschränkt anerkannt. Dazu folgendes anekdotisches Beispiel: Das Moskauer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte seit Ende der 1990iger Jahre über viele Jahre hinweg einmal jährlich ein vertrauliches deutsch-russisches Dialogprogramm der Höchsten Gerichtsbarkeit in Baden-Baden veranstaltet. Die Präsidenten und ausgewählte Richterinnen und Richter der Verfassungsgerichte und aller übrigen Bundesgerichte tauschten sich an drei Tagen fachlich aus und kamen sich dabei mitunter auch menschlich näher. Die deutsche Seite sammelte wichtige neue Erfahrungen über die bis dahin unbekannten Kompetenzen der russischen Kolleginnen und Kollegen. Nur eine Verständnishürde blieb unüberwindbar: Die Andeutungen der russischen Seite zur Existenz eines sogenannten „Telefonrechts“, das besagte, dass selbst ein vollständig ausgearbeitetes Gerichtsurteil unter Umständen durch einen Anruf von „höheren Ortes“ noch entscheidend verändert werden konnte.

Mit der Auflösung der Sowjetunion Anfang der 1990iger Jahre, völkerrechtlich durch Dismembration, und dem Eintritt der Russischen Föderation in die Rechtsnachfolge gab es auf vielen Gebieten, v.a. im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, große Veränderungen. Die Machtinstitutionen des vormaligen Staates blieben jedoch unangetastet. Der Geheimdienst, die Armee oder das Bildungs- und Justizsystem wurden nicht reformiert, die Armee, das Bildungssystem, das Justizsystem. Nach einem kurzen Schockmoment haben sich die alten Machtstrukturen sehr schnell wieder regeneriert.Das „männerbündische“ Element der Dienste konnte der kundige Beobachter damals für eine Übergangszeit nach dem Amtsantritt Präsident Putins auch daran erkennen, dass die Armbanduhr als Erkennungszeichen am rechten Handgelenk getragen wurde.

Das Interesse einer am naturwissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Nützlichkeitsdenken orientierten Gesellschaft und ihrer Eliten beschränkte sich auf die Funktionsweise westlicher Staaten, nicht am Wesen der Demokratie! Alle Versuche, die Voraussetzungen für das Funktionieren demokratischer Staaten zu erklären, blieben bestenfalls „akademische Fingerübungen“. Unvergessen blieb mir die Aussage des Delegationsleiters aus der russischen Präsidialadministration anlässlich eines Informationsbesuchs in Deutschland zum Berufsbeamtentum: „Wir brauchen das ganze Gerede über Demokratie nicht, wir wollen nur wissen, wie Beamten bei Euch funktionieren – rein funktionieren, haben Sie verstanden?“ Rückblickend hätte man die gesamte Reise sofort abbrechen sollen!

Die im Verlauf der ersten Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts einsetzende Korruption in allen Bereichen der Gesellschaft hätte für die weitere Entwicklung der Gesellschaft ebenfalls ein deutliches Warnzeichen bilden müssen, dass das Land auf dem Weg in einen Unrechtstaat war. Wir können dies vor allem im Bildungssystem rückblickend festmachen, wo ein massiver Qualitätseinbruch feststellbar war. Ich erinnere mich an verzweifelnde Hochschullehrer, die einen massiven Druck seitens Eltern und Studenten auf der einen und Hochschulleitungen auf der anderen Seite verspürten, die Hürden für akademische Abschlüsse zu erleichtern und – wo nötig – aufgrund offensichtlicher Zahlungen an die Hochschulverwaltungen weitgehend aufzugeben. Ähnliche Entwicklungen waren bei Verwaltungen und Justiz festzustellen.

NEIN, folgende Aspekte sprechen dagegen, dass die heutige Entwicklung Russlands hin zu einer Diktatur bereits Anfang der 2000er Jahre in Grundzügen absehbar war:

 Wir westlichen Beobachter hatten keinen unverstellten Blick. Wir waren gefangen zwischen den Stereotypen der Vergangenheit über die Sowjetunion mit ihrer extrem gewaltbelasteten Geschichte in der Innen- und Außenpolitik und dem Staunen über den rasant einsetzenden äußerlichen Wandel in Russland und seiner vermeintlichen Annäherung an den Westen _ Zitat Helmut Kohl: „Mantel der Geschichte“!. Das ließ uns über aktuelle Gewaltexzesse mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Geduld für ein Land auf der Suche nach sich selbst und die Scham über die eigene Gewaltgeschichte in Russland v.a. im Zweiten Weltkrieg hinwegsehen _ wenige Jahre vorher führte die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ bei uns in Deutschland noch einmal die Blutspur ganz normaler Deutscher vor Augen.

 

Unter westöstlichem Himmel. Unser Bild von Russland.

Eingeladen wird zu einem Abend mit Gedichten und Gesprächen über den Blick von außen auf Russland, die Stärke der russischen Frau, die Mentalität, Moskauer Winter, vergangene imperiale Größe und Sowjetnostalgie.

Gabriele Stotz-Ingenlath schreibt seit ihrer frühen Jugend. In Gedichten versuchte sie Eindrücke aus dem Medizinstudium und aus der ärztlichen Tätigkeit zu verarbeiten. Auch während der Zeit in Moskau entstanden eine Reihe von Gedichten, die sich mit Eindrücken des Alltagslebens in Moskau während der ersten Putin-Jahre befassen.

Es erwartet uns ein spannender Abend mit regem Austausch 😉

Montag, 10. März 2025
Einlass 18h und Start 18:30
Hanuschgasse 3/4/1/1046, zweiter Hof, 1010 Wien

Wir freuen uns auf Dr.phil. Dr.med. Gabriele Stotz-Ingenlath, Dr. Markus Dr. Ingenlath, Dr. Franz Cede und Dr. Christian Prosl.

Der Maler Wolfgang Müller-Jakob hat mit den Russlandgedichten und sehr schönen Bleistiftskizzen eine Broschüre gestaltet.
Diese Broschüre lädt zum Mitlesen und Nachlesen ein.

 

Dr.phil. Dr.med. Gabriele Stotz-Ingenlath, 1963 in München geboren, Professorin für Psychische Gesundheit an der Katholischen Stiftungshochschule München, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, studierte Medizin und Philosophie in Bochum, Boston, Cambridge und München und wurde in beiden Fächern promoviert.

Es folgten berufliche Stationen an den psychiatrischen Universitätskliniken in Zürich, München und an der Botschaft in Moskau, bevor sie fast 20 Jahre lang als Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin an der Fliedner-Klinik, einer Privatklinik der Charité wirkte. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Als Literaturkennerin und -liebhaberin hat Frau Stotz-Ingenlath seit Studienzeiten ihre Eindrücke aus Alltag und Beruf in lyrischer Form verarbeitet.
Ihre Gedichte zu Russland sind in den Jahren 2002 bis 2005 entstanden: Sie begleitete ihren Mann Markus Ingenlath nach Moskau, wo er das Büro der Konrad Adenauer Stiftung leitete, und erhielt die Möglichkeit, in Moskau im forensisch-medizinischen Serbski-Institut und in der Regionalarztpraxis der Deutschen Botschaft als Psychiaterin mitzuarbeiten. Dabei entwickelte sie einen persönlichen Zugang zu einem für sie zuvor völlig fremden Land, den sie lyrisch festzuhalten versuchte.

 

 

Dr. Franz Cede, 1945 geboren in Feldkirch, Diplomat, Politik- und Rechtswissenschafter
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck (Dr. iur.) und einem Postgraduate  Studium an der Johns Hopkins University in Bologna und Washington (M.A.) wurde  Dr. Cede 1973 ins Außenministerium aufgenommen. In seiner Inlandsverwendung war Dr. Cede stets dem Völkerrechtsbüro zugeteilt, dessen Leitung er von 1993 – 1999 innehatte. Im Ausland diente er an den diplomatischen und konsularischen Vertretungen Österreichs in Paris, Rabat, Kinshasa, Los Angeles, Moskau und Brüssel. Er war von 1985 -1988 österr. Botschafter in Kinshasa (heute DR Kongo), anschließend Generalkonsul in Los Angeles (1988- 1991), von 1999 – 2003 österr. Botschafter in Moskau und zuletzt Botschafter in Belgien und bei der NATO in Brüssel (2003 – 2007).

Dr. Cede ist Autor und Herausgeber einer Vielzahl von Publikationen im Bereich der Diplomatie und des Völkerrechts. Zusammen mit Botschafter Prosl hat er eine Kurzgeschichte der österr. Außenpolitik seit 1945 verfasst  und ist mit Botschafter Prosl Herausgeber eines Buches über die Rolle des Bundespräsidenten. Er hat an verschiedenen in- und ausländischen Universitäten unterrichtet, darunter an der Diplomatischen Akademie, der Universität Innsbruck, an der Webster University

 

Dr. Christian Prosl, 1946 geboren in Eisenstadt, Jus- und Französischstudium in Wien, Postgraduate Studien am Institut de Hautes Etudes in Genf. 1973-77 Einsatz beim UN Entwicklungsprogramm UNDP (Burkina Faso, Ruanda). 1977 Eintritt in das BMeiA. Verwendungen in London, Washington, Wien. 1991-95 Generalkonsul in Los Angeles; Abteilungsleiter für West- und Nordeuropa, 1998-2002 Leiter der Rechts- und Konsularsektion. 2003-09 österreichischer Botschafter in Berlin, 2009-11 in Washington. Publikationen über Studentengeschichte und Außenpolitik.

 

Wir machen bei unseren Veranstaltungen Fotos, Film- und Tonaufnahmen, mit deren auch späteren Verwendung Sie sich durch den Besuch der Veranstaltung einverstanden erklären.