Corona und die Welt von gestern

Bücher

Manfried Rauchensteiner/Michael Gehler

Corona und die Welt von gestern

Rezensiert von Michael Dippelreiter

Die beiden renommierten Historiker Michael Gehler und Manfried Rauchensteiner nahmen die Corona-Krise zum Anlass einen Sammelband über unterschiedliche betroffene Bereiche in unser aller Leben darzustellen. Die Wucht, mit der die Pandemie über die Welt und damit über alle Menschen hereinbrach, war nicht vorhersehbar und auch nicht abschätzbar. Staaten versuchten Alleingänge, schlossen die Grenzen, verorteten die Auslöser der Pandemie bei den „Anderen“, um schließlich festzustellen, dass eine weltweit konzertierte Aktion nötig ist, die Krankheit zu analysieren und Gegenstrategien zu erarbeiten.

Die Herausgeber luden bekannte Personen aus den Bereichen Verwaltung, Wissenschaft und Kultur ein, verschiedene grundlegende Themenbereiche in unterschiedlicher Herangehensweise bearbeiteten, vom Ausgangspunkt der Pandemie bis hin zu Verschwörungstheorien, wobei man bewusst nicht auf das Ende der Pandemie warten wollte.

Christoph Badelt, Wolfgang Brandstetter, Herwig Czech, Markku Datler, Michael Gehler, Martin Jäggle, Michael Köhlmeier, Berthold Molden, Lydia Novoszel, Robert Pfaller, Christian Prosl, Manfried Rauchensteiner, Kurt Scholz, Klemens Tockner und Tina Wakolbinger, beleuchten die Themenbereiche Philosophie und Gesellschaftswissen, Finanzen, internationale Beziehungen, Medizin, Bildung und Erziehung, Justiz, Kunst und Literatur, Wirtschaft, Logistik und Verkehr, Religion, Medien, Sport und Alltagskultur immer aus und in der Perspektive der Pandemie.

Der Beitrag unseresPräsidenten Christian Prosl, um ein Beispiel zu nennen, beschreibt die Arbeit des österreichischen Außenministeriums im Krisenmodus und kommt zu einem positiven Ergebnis: Das Ministerium konnte in der ersten Phase den Erwartungen gerecht werden; Hilfestellungen für die BürgerInnen im Ausland wurden ohne bürokratische Hürden gewährt. Es zeigte sich allerdings, dass die internationale Zusammenarbeit in einer Pandemie mehr denn je nötig ist.

Michael Gehler zeichnet in gewohnt übersichtlicher und genauer Art nach, wie die Europäische Union den Beginn der Pandemie nicht ernst genommen hat, wie sie sich aber rasch auf die Herausforderungen eingestellt hat und sich schließlich im Krisenmodus, mit Zustimmung der Mitgliedsstaaten, als Big Player im Konzert der Weltmächte etablieren konnte, ohne die Eigenständigkeit der Mitglieder in Frage zu stellen. Gehler stellt auch die Frage, inwieweit sich das komplexe Beziehungsgeflecht der Zuständigkeiten zwischen mitgliedsstaatlicher Souveränität und gemeinschaftlicher Supranationalität durch Corona neugestaltet wird.

Michael Köhlmeier fragt im Stilmittel eines Gesellschaftsbriefes („Warum eigentlich Kultur?“) nach der ökonomischen Bedeutung von Kultur, vom Unterschied zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Er kommt zum Schluss, dass Kunst per se keinen Tauschwert braucht und dass es gut ist, wenn sich nicht alles in Geld/Mammon umrechnen lässt. Er wartet gespannt auf jenen Minister, der einst auf die Frage, warum Kultur, antworten wird: Weil wir sie wollen.

Eine besondere Herangehensweise wird von Manfried Rauchensteiner verwendet, indem er jedem Beitrag eine von ihm verfasste„Einführung“ voranstellt, in der er die Thematik historisch und politologisch vorstellt. In kritischen, aber auch witzigen Worten nimmt er einiges voraus, was die ReferentInnen dann in ihren Beiträgen genauer erläutern konnten. Die beiden Herausgeber weisen schließlich darauf hin, dass sie alle die Dauer der Pandemie falsch eingeschätzt hatten.

Damit wurde das vorliegende Buch ein Werkstattbericht. Fortsetzungen können und sollen folgen, das vorliegende Buch ist aber ein aktueller Zeitzeugenbericht in bester Manier und verdient viele Leserinnen und Leser.
Manfried Rauchensteiner/Michael Gehler
Corona und die Welt von gestern
300 Seiten, mit 30 farb. Abb./Grafiken, gebunden
ISBN: 978-3-205-21258-4
Böhlau Verlag Wien, 1. Auflage 2021