Ausgabe Juni 2025: Auslese. Marias Bücherblog

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Maria Lehner

Übelbachs Denkmal und Schweinsbratens Lob im Hexameterepos.

„… ein großes Werk der Weltliteratur. Getragen von Humor, Liebe und Humanität.“ (Felix Mitterer)

Ein solches Werk darf wiedergelesen, neu gelesen werden: „Kirbisch – oder Der Gendarm, die Schande und das Glück“ von Anton Wildgans

Natürlich – ich gebe es zu: mir ist dieses Stück österreichischer Ausnahmeliteratur direkt ins Ohr gedrungen (auf Schallplatte, gelesen vom unvergleichlichen Richard Eybner) und somit war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis ich das Buch erworben habe. Dann aber hat sich gezeigt, dass das kein Buch ist, das man einfach nur liest, man muss es sich „denksprechend“ einverleiben, anders geht’s nicht. Wenn man aber einmal drin ist, kann man kaum mehr aufhören und beginnt schließlich in Hexametern zu denken: Wenn man meint, es zög´ einen hinein in die trunkenmachende Wirkung geschwollener Sprache – ist man schon mittendrin

Und: ja – es irritiert! Warum kann man das alles nicht einfach nur in Alltagssprache ausdrücken? Braucht die moralisch-auseinanderbrechende Handlung an der Heimatfront während des Ersten Weltkriegs vielleicht dieses sprachliche Korsett, um sich nicht aufzulösen in kleinste und unbedeutendste Sprachflusen?

Schließlich: soll man, möchte man den Kirbisch heute noch lesen? Spiegelt sich immer noch im Dorfpolizisten das Wirrwarr menschlicher Moral? Beschäftigt es uns noch, wo das Gesetz aufhört und wo die Gerechtigkeit anfängt? Brauchen wir nicht gerade wieder recht dringend das Epos von Kirbisch in dem niederösterreichisch-steirischen Grenzort am Südhang des Wechsels, in dem das wortwörtliche „Übel“ nicht mehr oder weniger regiert wie an irgendeinem anderen Ort?

Fetttriefend-deftig ist die Satire und tänzelt gleichzeitig doch auf (schlankem) Vers-Fuß apart dahin als ein Spiegelbild einer Gesellschaft, nicht nur der des vermeintlich so primitiven Landvolks, sondern auch als Abbild dessen, was sich in den eleganten Salons zuträgt. Und nur eine Hexametersilbe liegt stets zwischen Sorge und Freude, Korrumpierbarkeit und Reinheit, Glück und Katastrophe, Idylle und Bedrängnis. Am Ende sind es 4.602 Hexameter. Beim „Kirbisch“ liest sich das so: „Dies nun war Grundes genug, daß das Fräulein Rose Rachoinig/ Sich bacchanalisch benahm. Doch worin bestand dies Benehmen?“. Ein Stabreim-Postfräulein … Satire pur! Die Geschichte hat längst Fahrt aufgenommen und als Tore zur Hölle erscheinen als Münder der, ach so sittsamen, zum Kirchgang Gewandeten:

„Wild überschlugen einander, und Schandmaul zischte in Schandmaul:

„Aber, was Sie nicht sagen, Frau Frischenschlager, nicht möglich!“

„Aber, Frau Populorum, das weiß doch ein jeder im Ort schon!“

„Wenn der Kirbisch im Dienst ist?“ „Natürlich, wenn er im Dienst ist!

Zuschaun wird er doch nicht!“ „Nein, so eine schlechte Person das!

Spielt die Unschuld vom Land und hat es hinter den Ohren!“

Die Situation, der die Geschichte zugrunde liegt, hat Wildgans bei einem Ferienaufenthalt in Mönichkirchen bereits im Frühjahr 1917 erlebt. Erst 1925 beginnt er, sie zu Papier zu bringen und schreibt, teils orgiastisch und in Schwüngen, daran. Er nimmt wahr – so steht es in einem Bericht der Wildgans-Gesellschaft zu lesen – dass ihm das Werk „unter den Händen davonwächst“. Am 22. Oktober 1927 hat er den Text knapp vor Ende der Fristsetzung seitens des Verlages in mühevollen Schreibprozessen vollendet. Als sein Leipziger Verleger Staackmann im November 1927 an „fertigen Büchern“ auch den „Kirbisch“ annonciert tut er dies so: „Der hoffnungslosen Erkenntnis der Niedertracht der Welt ist hier der unerschütterliche Glaube an das hohe Walten des Sittengesetzes entgegengesetzt. Darum löst sich auch die äußerste Gemeinheit in Humor auf“. Es wird darauf hingewiesen, dass es das Buch in mehreren Ausgaben gibt: „Format Großoktav/Ganzleinenband mit Schubkarton M. 8.-, broschiert M. 5.5, Einmalige Vorzugsausgabe auf deutschem Bütten, vom Autor signiert, numeriert, in Schweinsleder M. 40.“ Die Lesung des Epos am 26. und 27. November 1927 durch Schauspieler Wilhelm Klitsch im großen Saal des Konzerthauses gerät zum großen Erfolg. Im Neuen Wiener Journal vom 29. November 1927 ist zu lesen: „Die enthusiasmierten Hörer konnten den Dichter und seinen Propheten nicht oft genug aufs Podium rufen, um ihnen zu danken“.

Kurz darauf schreibt Stefan Zweig an Wildgans, den er mit „Lieber Meister Anton!“ anredet, „Dieses Buch ist ein Denkmal aus Österreich, Denkmal einer Zeit und Generation und wird als solches bestehen, dauerhafter wahrscheinlicher als alles, was Du und wir bisher gemacht haben“. Die Zeit und ihr Ungeist, die Kriegsgewinnler (des Ersten Weltkriegs), die Suchbewegung, aber auch das Ewig-Weibliche zwischen der Reinen (der Magd Cordula) und der Dämonischen (Käthe, Ehefrau des Kirbisch) machen die Handlung aus. Max Mell und Gustav Učický schrieben daraufhin ein Drehbuch; unter dem Titel „Cordula“ – mit Paula Wessely in der Hauptrolle – erfolgte 1950 eine Verfilmung. Der Stoff geriet dabei (aus meiner Sicht) zu sehr ins Volkstümliche.

Das Lesen der Hexameter-Fassung lohnt sich allemal, sie ist die Echtere, gerade durch ihre scheinbare Gekünsteltheit, mit der sie sich von allem Alltäglichen absetzt. Das Epische, interessanterweise ziemlich gleichwertig und zeitgleich bei Gerhart Hauptmanns („Eulenspiegel“) auftretend, flackert ein letztes Mal auf. Aber Kirbisch ist nicht nur Jammer und Klage, der Witz hat Platz und auch die Idylle:

„Weltabgeschieden und friedlich, südliche Hänge hinan,

Versammeln die Häuser und Höfe sich um das uralte Kirchlein,

dem ruchbar ein Gnadenbild inwohnt.

Friedlich umbreiten Wiesen, umdunkeln Forste die Siedlung,

Von einer Straße durchquert, auf der schon die Römer gezogen

Ebenso blitzen Genuss und Lebensfreude hervor:

Brutzelnd, brätelnd und braun vom prasselnden Brande des Bratherds, Prangte die prächtige Schnitte, verbrämt mit der breitesten Borte Schwellenden Rückenfetts von der helleren Farbe des Bernsteins„.

Kann man einen Schweinsbraten inniger beschreiben? Übelbach völlert, während die Welt hungert. Der Schweinsbraten scheint den Weg ins Eldorado zu markieren, weist aber direkt auf den Frevel hin. Der Gendarm Kirbisch soll die Vorräte beschlagnahmen, tut es aber nicht, betrügt und wird betrogen. Der Hahnrei lässt sich bestechen und frisst sich ein Fettherz an, um untauglich zum Militärdienst zu sein. Schiebung und Schleichhandel, echte moralische Erschütterung des Pfarrers: Übelbach scheint der soziale Müllabladeplatz der Welt. Es gibt sie dort und überall: Hiebaum, den Schreiner, („Der als Mephisto des Dorfes bei allen gescheut und beliebt war“) ebenso wie einen, der sich im Stück erkannte, das zuerst gar nicht witzig fand, und von Wildgans besänftigt werden musste („Alle doch weit übertraf, schon auf Grund seines Lebendgewichtes, / Fürbaß Romanus Ägid, der lendengewaltige Selcher!“).

Heinrich Gattermayer (Professur für Komposition und Tonsatz, Universität für Musik und Darstellende Kunst, Wien) vertonte sechzig Jahre nach der literarischen Fassung den Stoff zur „Kirbisch-Suite“, die 1987 im Linzer Landestheater uraufgeführt wurde. Er geht von vielen Seiten her an das Vorhaben heran: von der Volksliedbearbeitung über die Aleatorik (also zufallsabhängig) bis zur Verwendung von elektronischen Elementen.

Kommt und nehmet sie wahr des Meisters geschliffene Worte

Sei es gedrucket im Buche, gepresst auf Vinyl oder aber

In jenem weltweiten Netz für die Nachwelt verewigt.

Damit ist gesagt, was zu Kirbisch gesagt werden musste!

Buch: Anton Wildgans: Kirbisch oder Der Gendarm, die Schande und das Glück. Graz- Wien -Köln: 1995. ISBN 3-222-12278-4.

Schallplatte: Josef Weinheber, Anton Wildgans, Richard Eybner – Josef Weinheber „Wien Wörtlich“ – Anton Wildgans „Kirbisch“; Amadeo – AVRS 2002 X, Vinyl, 10″, 33 ⅓ RPM, Mono

CD: Kirbisch oder Der Gendarm, die Schande und das Glück. Lesung. Hg.: Kral. ISBN-13978-3990242223, 1. Juli 2013.

Projekt Gutenberg: https://www.projekt-gutenberg.org/wildgans/kirbisch/kirbisch.html (elektronische Fassung, gratis – zum Lesen auf den Link klicken)

CD Kirbisch-Suite: Fragmente aus „Offenbarung und Untergang von Georg Trakl“; Intention I; Traum und Tod / Heinrich Gattermeyer; Amadeo, 1993. CD 445 303 – 2; 1 Compact Disc + 1 Beiheft. Serie: Österreichische Musik der Gegenwart, Nr. 43