Ausgabe Juli 2025: Auslese. Marias Bücherblog

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Von schmutzigen Schatten und braunen Flecken: Susanne Beyers Buch „Kornblumenblau“

„Kornblumenblau“ – damit meint die Autorin Susanne Beyer keine Romanüberschrift, vielmehr verspricht der Covertext „der geheimnisvolle Tod meines Großvaters 1945 und die Frage was er mit den Nazis zu tun hatte. Eine Spurensuche“.

Die Autorin, Jahrgang 1969, gehört zur Generation der sogenannten „Kriegsenkel“. Recherche ist ihr Beruf, die Erkundung von Familiengeschichten und -geschichte ihre Passion. Sie ist die erste Fragende – die betreffenden Generation _ also z.B. die Großtante und die nachfolgende Generation wollen nicht erinnern, sondern vergessen. Etwas aber verspüren Sie klar: Primo Levi drückt es in seinem Buch „Das ist ein Mensch“ so aus: „Was man nicht verstehen kann, bildet eine schmerzhafte Leere, ist ein Stachel ein dauernder Drang, der Erfüllung fordert“. Das klingt schon ein wenig nach Obsession und tatsächlich und ist es so, dass die Recherchen, die die Autorin über ihren Großvater anstellt, die Mutter beunruhigen.

Beyer ist seit 1996 beim Spiegel im Kultur- und Wissenschafts-Ressort tätig und war vier Jahre lang stellvertretende Chefredakteurin des Nachrichtenmagazins. Was bewirkt sie mit diesem Buch, das kein dahinfließender Roman ist und dessen Plot keinen geraden Weg geht. Vielmehr ist es ein Tourbericht, der ins Innere des Familiennarrativs eindringen muss wie einer, der Höhlen erforscht und Steige befestigt. Die Reise führt 80 Jahre zurück in die Vergangenheit des Großvaters. Der Aufbruch erfolgt am Begriff „Kornblumenblau“. Was fällt uns dazu ein? Bismarcks Lieblingsblume? In Österreich die blaue Kornblume als Zeichen der Bewegung des antisemitischen deutschnationalen Politikers Georg von Schönerer und in den Dreißiger-Jahren ein Erkennungszeichen der illegalen Nazis? Ein (meist gegröltes) volkstümliches Lied aus 1938 von Jupp Schlösser (Text) und von Gerhard Jussenhoven (Musik). Heinz-Christian Strache beruft sich auf sie als „Symbol für die bürgerliche Freiheitsbewegung 1848“. So viel Verräterisches und nicht bloß Poesie… Kornblumenblau ist jedenfalls das Emblem für das Familien-Narrativ. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine einheitliche klar benennbare Farbe, die die Vorstellung der benennenden Person und des Betrachters zur Übereinstimmung bringt. Es scheint so, als ermögliche es eine sichere Deutung.

Ich blicke auf den Himmel und in die Adria: Blau? Schattierungen? Die Autorin verunsichert das zunehmend: Wie blau ist die Kornblume? ist der Großvater den sie nie kennengelernt hat, jener feinsinnige Mensch gewesen, der auf Fotos zu sehen ist und der die kleine Familie mit Frau und Tochter mit Klavierspiel und Scherz erfreut hat und der in der IG Farben eine hohe Funktion und Rolle hatte? Aber welche? In der Familienerzählung heißt es, er sei es gewesen, der die künstliche Herstellung der Farbe Kornblumenblau ermöglicht habe. Der Chemiker war im Zweiten Weltkrieg „uk“ (unabkömmlich) gestellt -was kann er also zum Kriegsgeschehen beigetragen haben, wenn es bloß um Farbe ging? Aber: dieser Standort Lehnin der IG Farben, an dem der Großvater gearbeitet hat – wurde dort nicht der kriegswichtige synthetische Kautschuk hergestellt hat, der unter der Bezeichnung „Buna“ bekannt ist? Und welche Rolle spielten die Häftlinge des Lagers Auschwitz III, Buna-Monowitz, denen das Buch gewidmet ist?

Es ergeben sich Fragen über Fragen, die darin gipfeln: Warum wurde er 1945, knapp vor Kriegsende, ermordet? Das feingewebte Narrativ bekommt Flecken, da und dort schmutzige Schattierungen, denn da ist zu erfahren: „Die Kollegen meines Großvaters, so ging das Spiel, sollten einen unter ihnen auswählen den würden die Soldaten dann erschießen. Die Kollegen entschieden sich für meinen Großvater. Er wurde 38 Jahre alt“. Was trieb die Kollegen zu dieser Entscheidung an? Wer leitete das Spiel, wer machte die Regeln? Lapidar wird gesagt, er sei: „anders gewesen als die anderen“ und  habe „zu viel gewusst“, das muss als Erklärung genügen.

Der Weg durch dieses unsichere Terrain ist getragen von einer äußerst professionellen Haltung der Schreibenden; von Fleiß von Gespür, ja auch von glücklichen Zufällen und von sehr viel Geduld. Wer Leerstellen in Familienerzählungen entdecken und ihnen nachspüren will, steht schnell vor Schranken. Wir erfahren, „dass sich Familien bestimmte Bilder von ihren Vorfahren befahren und deswegen lieber nicht genau wissen wollen, wie es wirklich gewesen ist“. Die Autorin zitiert eine Psychologin Marina Chernivsky, die sich in einem Text mit Familiengeheimnissen, oder – wie sie es nennt –  „Gefühlserbschaften des Nationalsozialismus“ beschäftigt. Diese bewirken etwas: Es heißt, „Fakten über Vorfahren würden in den Erzählungen zurechtgebogen damit sie zu den Gefühlen der Erzählenden passen“. Die „imaginative Vergangenheit“ also das Bild das jemand von früheren Zeiten habe, spiele eine viel wichtigere Rolle als die „dokumentarische Faktizität“, somit das, was tatsächlich geschehen und belegbar sei. Und das habe Folgen auch insofern das Fakten und Wünsche vermischt werden. Es fließen Farben ineinander, deren Mischung zuletzt ein dunkles Grau(en) ergibt.

„Kornblumenblau“ enthält jede Menge Recherche-Tools, Literaturhinweise und (durchaus kritische) Berichte über den Einsatz alternativer Methoden wie Familienaufstellungen. Es bietet nützliche Tipps und gibt ausführliche praktische Anregungen („Hilfreiche Hinweise für die eigene Recherche“), zeigt aber auch auf „Geschichte setzt sich im Kleinen in den Familien und im Großen in ihrer Politik immer fort und sowohl die psychologische als auch die historische Forschung zeigt, dass es sich bewährt zu verstehen was sich da fortsetzt.“

Eine Empfehlung für alle, die Fragende und Suchende sind.

Beyer Susanne: Kornblumenblau. Spiegel-Buch. DVA, (Mai) 2025. Hardcover, mit Schutzumschlag, 240 Seiten. ISBN 978-3-421-07042-5

Leseprobe: https://www.penguin.de/content/edition/excerpts_extended/Leseprobe_978-3-421-07042-5.pdf