Philosophieren mit Schwarztee und Limetten.
Eugen M. Schulak: „Die wunderbare Reise des Herrn Maria“
2026 – eine weitere Station auf unserer Lesereise. Ist nicht das ganze Leben eine Reise? An zwölf weitere Stationen werde ich Sie heuer führen. Die erste möchte ich mit einem Haiku aus meiner Feder einleiten. Es passt gut zu den Wintertagen und speziell zu diesem Buch (siehe auch Bild):
Denknebelschwaden.
Grüne Limette. Schwarztee,
Und dazu ein Buch
Und nicht irgendeines. Begleiten Sie mich auf „Die wunderbare Reise des Herrn Maria“. Der Autor, ein Wanderer zwischen der Wissenschaft, der Kunst und der Denkwelt, Eugen M. Schulak heißt ebenfalls mit zweitem Vornamen „Maria“. Das sei vorab schon einmal ans Herz gelegt!
Der Protagonist „Herr Maria“ kommt aus den Wäldern Borneos zurück. Fleischfressende Kannenpflanzen hat er dort gefunden. Und auch er wurde offensichtlich dort gefunden – vom (für dieses Buch erfundenen) – Virus „Influenza orangutaniensis“, einem Affengrippevirus. Fazit: 50-tägige Quarantäne wird verordnet, der Tod gilt als recht wahrscheinlich. Herr Maria wendet sich erst einmal der Zubereitung von einem Paar Debrecziner zu und beschließt sein Mahl rituell mit Schwarztee und dem Saft einer „quietschgrünen“ Limette. Dann ist immer noch genug Zeit, sich mit dem Sterben zu befassen. In Erinnerung an den einmal gelesenen Kalenderspruch, dass der Tod ein Wegweiser der Philosophie sei, fällt ihm ein, dass es einen Philosophen gibt, den man anheuern kann, „wie einen erfahrenen Skipper“. Der Angefragte sagt zu und ein E-Mail-Kontakt beginnt, in dem Herr Maria Episoden seines Lebens darstellt, zu der innerhalb von 24 Stunden der Philosoph einen Kommentar abliefert.
Auf der Basis einer so charmanten Idee kann ein Buch entstehen, das den Autor in zwei Figuren spaltet, nämlich in den Fragenden (der er als Mensch ist) und den Antwortenden (der er, selbst Philosoph, ist). Vom ersten Lebensthema an („Der Totengräber oder Die Freundschaft“) bis zum letzten („Hemmungen oder Reden und Schreiben“) führt er uns auf liebenswert-tiefgründige Weise die großen Fragen des Lebens entlang. Die jeweiligen Berichte und die darauffolgenden, stets mitausgewiesenen, Quellenangaben machen das Buch aus. Es ist kein Lehrbuch, sondern eine Art Katalog mit Angeboten, denn: „Die Wahrheit ist kein Besitz, sondern eine Bewegung“, sie entsteht im Denken, nicht im Haben.
Gleich in der ersten Geschichte erzählt Herr Maria dem Philosophen, dass er sich als Fünfjähriger mit einem Totengräber befreundet habe, dass er dem die schweren Arbeiten abgenommen habe und sich über manches ernsthaft mit ihm unterhalten habe. Später erfährt Herr Maria, dass dieser Totengräber wohl in ihm den verlorenen Sohn gesehen haben mag. Der Philosoph, er beginnt jede Antwort mit einer Höflichkeitsfloskel, benennt das Staunen als den Beginn der Autonomie eines Kindes. Sympathie und Interesse, daraus wachse Freundschaft. Eine solche sei ein optimaler Lernort, sie bedeute Freiheit und wertvollsten Besitz und verbinde das Nützliche, Angenehme und Gute. Von gegenseitigem Gewinn sei die Rede, denn Freundschaft sei doch – gemeinsam mit der Weisheit – das wertvollste Geschenk, das wir von den Göttern erhalten haben. Im Plauderton nennt er dazu die Positionen des Sokrates, Aristoteles, Epikur und Cicero. So wird aus einer kleinen Geschichte, wie in jedem der Kapitel, ein zwanglos-lehrhafter zeitversetzter Dialog. Jedes Kapitel endet mit der Reflexion des Herrn Maria über diese Worte, über seine gegenwärtige Situation und über seine Umgebung in deren Zentrum immer wieder seine Pflanzen stehen. Diese, übrigens von Bettina Merz im Buch trefflich illustriert, sind nicht nur exotische Beigabe, sondern Leitbilder („Die Pflanzen lehren uns Geduld, und Geduld ist die Schwester der Weisheit.“)
Was mich an dem Buch besonders fasziniert, ist das schlingpflanzenartige Ineinander-Wachsen von Fragen und Antworten, das mäeutische Hinführen in die klassische Philosophie und das zur blickdichten Hecke verwachsene Geflecht aus Figuren. So endet eine der Geschichten damit, dass Herr Maria eine beeindruckende Pflanzensammlung sehen darf und der Sammler ihm sagt „Aber dafür, dafür musst du meine Leichenrede halten“. Und hier verbinden sich Protagonist und Autor: Eugen M. Schulak ist tatsächlich – neben so vielem anderem auch – Trauerredner. Ich verspreche Ihnen: wenn Sie einen Blick auf Schulaks Angebote werfen, werden Sie mehr als erstaunt sein ( http://philosophische-praxis.at/angebote/ )! Der 1963 in Wien Geborene hatte zuerst Biologie, dann Musik und Klassische Gitarre studiert und schließlich nach dem Philosophiestudium bei Konrad Paul Liessmann dissertiert bzw. promoviert. Schulak war von 1982 bis 1995 als Musiker tätig und gründete das Tonstudio „Jackson & Schulak“, mit dem er Radio- und Fernsehwerbung produzierte. Diese kreative Phase prägte seinen Zugang zur Philosophie: lebensnah, sinnlich, und oft mit einem Augenzwinkern. Bereits 1998 hat er in Wien eine philosophische Praxis gegründet – ähnlich wie ein philosophischer Coach begleitet er Menschen in Lebensfragen. Schulak hat zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem „Was ist Philosophie?“ (gemeinsam mit Franz M. Wuketits) und das „Handbuch der politischen Philosophie“ Er ist Universitätslektor und Vortragender beim Philosophicum Lech und anderen philosophischen Veranstaltungen. Seine Publikationen sind in „Die Presse“, „Die Furche“ und in der „Wiener Zeitung“ erschienen.
Eugen M. Schulak: Die wunderbare Reise des Herrn Maria – Ein philosophischer Roman. Wien: Amalthea Signum Verlag, 2022. 272 Seiten. Hardcover (€ 25,00; e-Book: € 20,90) ISBN 978-3-99050-208-2

