Ausgabe Februar 2025: Auslese. Marias Bücherblog

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Joseph & Josef in der „Schattenkühle“

Über einen Roman von Barbara Kadletz

Auch diesmal geht es um ein Buch, das unter dem Weihnachtsbaum gelegen hat: Barbara Kadletz ist die Autorin. Wir kennen sie als Buchhändlerin (Hartliebs Bücher) und Buchrezensentin (Regionalfernsehen) sowie als Bloggerin („Das Buch zum Wochenende“), aber auch als Theaterrezensentin und Kurzgeschichten-Autorin (2018 landete sie beim Kurzgeschichtenwettbewerb von FM4 auf dem beachtlichen zweiten Platz). Die gute Beobachterin schöpft wohl aus ihrem Interesse für die Welt und die Menschen rund um sich. Themen, die sie in Literatur umsetzt werden, trägt sie oft lang mit sich herum.

Da wäre zum Beispiel der Wienerwald… der Joseph Schöffel… über den hat noch keiner geschrieben – kann das sein? 2022 waren es doch 150 Jahre. Was für ein Projekt das war! Angeblich wäre Wien, gäbe es den Wienerwald nicht, um 6 Grad heißer. Es beginnt, wie so oft: mit Recherchen in der Nationalbibliothek. Das braucht Zeit. Und dann das „Was- wäre-wenn“, wenn dieser Joseph Schöffel jetzt leben würde? Ab da wird´s spannend und man muss sich konzentrieren, um nicht den Josef mit „f“ und den Joseph mit „ph“ zu verwechseln, denn beide heißen mit Nachnamen Schöffel. 

Ein Buch, das mit damit beginnt, dass der Josef dem Joseph ans Bein pinkelt – oder besser gesagt an die Statue desselben – verspricht, witzige Zugangsweisen. Die Doppeldeutigkeit zwischen übertragenem und eigentlichem Wortsinn beschert uns einen der besten Buchanfänge, die ich kenne. Befinden wir uns etwa in Purkersdorf, wo seit 1972 ein solches Denkmal des Joseph Schöffel steht? Das ist Josef nicht unbekannt: seine Großmutter hat ihn als Kind dorthin geführt und die Hoffnung ausgesprochen, dass ihr Enkelkind auch etwas so Wichtiges leisten werde wie der Namensgleiche. Wird das gelingen oder macht das „f“ in Namen einen Unterschied zum „ph“?

Was darf man insgesamt an Denkanstößen von einem solchen Roman erwarten? Etwa die Sicht darauf, dass das, was vor 150 Jahren als Fortschritt galt, jetzt dem geopfert werden könnte, was in der Gegenwart Fortschritt bedeutet? Da geht es nicht um den Wald als Ort der Erholung, sondern als Standort für einen verglasten Kubus, der das Büro mitten in den Wald versetzt oder – je nach Sichtweise – den Wald ins Büro holt. Von Josef designt. Etwas Wichtiges aus seiner Sicht. Natürlich nachhaltig. Mit der Wahl des Architekten „Josef Schöffel“ erhofft sich der Bürgermeister funktionierende Erinnerung (an den berühmten Namen) und damit einhergehendes Greenwashing.  Die „Bösen“ wollen bauen, die „Guten“ demonstrieren (auf Seite 12 tauchen die Klima-Aktivisten auf) und zwischendrin steht Josef, der als Architekt und Kommunalpolitiker den Bau konfliktlos ermöglichen soll. Er gehört weder den „Guten“ noch den „Bösen“ an. Er ist der Hedonist, der als Erwachsener endlich seine Ruhe haben will, denn seine Kindheit war geprägt durch die Unterdrückung seitens der Großmutter.

Alles wäre machbar, tauchte jetzt nicht der Joseph auf. Dieser Joseph, der schon damals ein Stück Natur vor dem (Aus)verkauf retten wollte. Er fand deutliche Worte, wurde Bürgermeister von Mödling und tat der Stadt gut. Man erinnert sich an ihn als Stifter einer Waisenanstalt und als den, der Gehsteige bauen und Bänke aufstellen ließ, von denen aus man gemütlich in die Natur oder in die aufstrebende Stadt schauen konnte. Vielleicht bekam man sogar eine Brise der „Schattenkühle“. Schöffel ging es in höherem Alter nicht so gut: dem einstigen Helden, vergessen, alleinstehend, bankrott droht eine Einweisung in „sein“ Waisenhaus.

Die Geschichte lässt die beiden Schöffels aufeinandertreffen. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen ineinander. Joseph ist also in der Zukunft, und nimmt das ebenso wenig wahr, wie Josef die Begegnung mit jemandem aus der Vergangenen bewusst wird. In dieser klug inszenierten Idee liegt für mich die bemerkenswerteste Aussage des Romanes von Kadletz: Ist im Prinzip immer (noch) alles dasselbe? Hat sich – systemisch betrachtet – nichts geändert? Gehen Umweltschutz und Lokalpolitik immer noch nicht zusammen? Viele kleine Anspielungen und Wendungen, viele Verwerfungen und Vermutungen begegnen uns noch. Sogar um die Kriegsenkel geht es. Aber lesen Sie selbst!

Und wenn Sie dann noch interessiert, was Barbara Kadletz an Rechercheergebnissen erzielt hat, die sie nicht alle in den Roman hat einfließen lassen, können Sie dies in einem Podcast-Gespräch mit „Das Litrophon“ hören: https://open.spotify.com/episode/1yjHZbVTdL2IhyaXN9WJ19?go=1&sp_cid=4e624d1ad895b35a8ed368ee2d009887&utm_source=embed_player_p&utm_medium=desktop&nd=1&dlsi=a683e07e6c5c4dff

Barbara Kadletz: Schattenkühle. Roman. Wien: Edition Atelier, 2024. 232 Seiten, Hardcover. € 25,00. ISBN 978-3-99065-109-4 Hörbuchnummer 57129