Rückblick auf die bessere Zukunft: Karl Valentin, der Schrägdenker
Das Jahr 2024: War es eine Komödie, war es eine Tragödie oder etwa, wie Karl Valentin einen seiner Texte untertitelt, ein „humoristisches Drama“? Und werden wir rückblickend sagen, dass die Zukunft früher auch einmal besser gewesen sei?
Valentin, das Ausnahmetalent – Komiker, Schrägdenker, Humorist, Schauspieler und Filmemacher, Meister der Groteske – wird mitunter auf eine Stufe mit Charlie Chaplin, Buster Keaton, Luis Buñuel, Samuel Beckett sowie Stan Laurel und Oliver Hardy gestellt. Tucholsky adelt ihn als „Linksdenker“ und gibt an, noch selten im Theater so viel gelacht zu haben. Worüber man lachen kann, zeigt das hier besprochene Buch. Es enthält wichtige Monologe, Szenen und Stücke. Der folgende Ausschnitt zeigt, wie Valentin in vorgeblich kindlicher Naivität das Wort beim Wort nimmt:
Verkäufer: (im Herrenhutgeschäft) Guten Tag – Sie wünschen?
Valentin: Einen Hut.
Verkäufer: Was soll das für ein Hut sein?
Valentin: Einen zum Aufsetzen.
Verkäufer: Ja, anziehen können Sie einen Hut niemals! Einen Hut muss man immer aufsetzen.
Valentin: Nein, immer nicht. In der Kirche zum Beispiel kann ich den Hut nicht aufsetzen.
Verkäufer: In der Kirche nicht – – aber Sie gehen doch nicht immer in die Kirche.
Valentin: Nein! Nur da und hie!
Verkäufer: Sie meinen: nur hie und da!
Valentin: Ich will einen Hut zum Auf- und Absetzen.
Verkäufer: Jeden Hut können Sie auf- und absetzen! Wollen Sie einen weichen oder einen steifen Hut?
Valentin: Nein – einen grauen! Verkäufer: Nein! Ich meine, was für eine Fasson!
Valentin: Eine farblose Fasson!
Verkäufer: Sie meinen eine schicke Form – wir haben allerlei schicke Formen in allen Farben! Valentin: In allen Farben? Dann hellgelb!
Verkäufer: Aber hellgelbe Herrenhüte gibt es nur im Karneval, einen hellgelben Herrenhut können Sie doch nicht tragen!
Valentin: Ich will ihn ja nicht tragen, sondern aufsetzen!
Dieser Valentin! Wie man ihn ausspricht? Sagen Sie bitte nur nicht „Walentin“, belehrt er uns selbst, denn: „Der Herr Valentin ist nicht der Herr Walentin, sondern der Herr Falentin, denn es heißt ja auch nicht, man hat einen Wogel, sondern einen Vogel.“ Das Spiel mit Sprache, die Wort-(Zer)Klauberei und die Schaffung sprachlicher Monstrositäten („Isopropilprophemilbarbitur-sauresphenildimethildimenthylaminophirazolon“) bzw. die philosophischen Einschübe („Mögen hätt´ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!„) lassen tief blicken. Pseudowissenschaftlich äußert er „Der Regen ist eine primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und Vibromen, deren Ursache bis heute noch nicht stixiert wurde“[1].Da nimmt es nicht Wunder, dass eine andere Betrachtung über den Regen lautet „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch“. Hier wird Sprache zerlegt: „Seine abwegigen Überlegungen sind erstaunlich sprachanalytisch: Er wringt das menschliche Kommunikationswerkzeug, bis sämtliche Ungereimtheiten herauströpfeln“, sagt die Literatin Barbara Damm über ihn.
Wie er selbst erzählt, wird er 1885 als „Sohn eines Ehepaares“ in der Münchner Vorstadt Au geboren. Der Schreinerlehrling dichtets Couplets, tritt als Komiker auf, besucht eine Varietéschule, lernt Zitherspielen und gibt als Siebzehnjähriger ein Gastspiel in Nürnberg. Ein Jahr später beginnt er ein Vorhaben, das drei Jahre in Anspruch nehmen wird: dem Bau eines Musikapparats. Sein aus zwanzig Instrumenten zusammengeklittertes Gerät zerhackt er in einem Wutanfall über die erfolglose Tournee.
Mit Solovorträgen und Monologen gelingt ihm 1908 der Durchbruch gemeinsam mit der mit komischem Talent gesegneten Elisabeth Wellano („Liesl Karlstadt“) an seiner Seite. Mit Vernunft und Bürgerlichkeit wird sie seine Gegenstimme. Von München aus geht’s ab 1915 nach Wien, Zürich und Berlin.
Der auf Präzision und Planung Bedachte überlässt nichts dem Zufall – außer er hat grade seine chaotische Phase, in der er ausschließlich extemporiert und jedes Stück bei jeder Aufführung neu erfindet. Liesl Karlstadt bleibt mit Engelsgeduld in der Funktion des ausharrenden Widerparts. Auch als der Schriftsteller, Vortragskünstler, Musical-Clown, Filmemacher, Schauspieler und Regisseur von Neurosen gebeutelt wird. Er soll zeit seines Lebens an die neunzig Ärzte „verbraucht“ haben, hat Angst vor Einbrechern, fürchtet lange Zugfahrten und korrespondiert mit Pharmafirmen. Große Angebote schlägt er – aus Angst vor dem tiefen Fall, wie er selbst sagt – aus.
Nach den Erfolgen der „goldenen Zwanzigerjahre“ kommen Tiefschläge. Das 1934 eröfffnete Absurditätenmuseum „Panoptikum“ und die „Ritterspelunke“ (1939), für die der Schreiner selbstgezimmerte Kuriositäten geschaffen hat, sind unrentabel. Valentin und Karlstadt investieren Privatvermögen und verlieren es. Ab 1933 wird wegen „Elendstendenzen“ sein Film „Die Erbschaft“ verboten; einige seiner Schriften landen auf der Schwarzen Liste der Nazis als „unerwünschte Literatur“. Liesl Karlstadt ist den Belastungen nicht mehr gewachsen, die Bühnenpartnerschaft zerbricht. Hungersnot und Entbehrungen kennzeichnen die Kriegsjahre, der Wunsch des Publikums nach leichter Kost erschwert Valentins Rückkehr nach Kriegsende. Das Publikum will unterhalten werden; es ist noch zu früh, den Spiegel vorgehalten bekommen. Sein Tod 1948 verhindert, dass er die Wiedergeburt „seines“ schrägen Humors erlebt.
Wenn Sie in München sind, besuchen Sie bitte an der Münchner Adresse „Im Tal 50“ das https://www.valentin-karlstadt-musaeum.de/ oder begnügen Sie sich vorerst mit
Karl Valentin. Die Zukunft war früher auch besser. Gerade Gedanken eines Schrägdenkers. 352 Seiten. Marix-Verlag, 2019. Hg.: Josef K. Pöllath
Auch im Jahr 2025 erwarten Sie im Bücherblog der ÖKV monatlich Buchbesprechungen
[1] Dies stammt aus „Der Regen“, Kapitel 19 im Projekt Gutenberg: Karl Valentin. Brilliantfeuerwerk. Mit Zeichnungen von Karl Arnold (1883 – 1953) Verlag H. Hugendubel München https://www.projekt-gutenberg.org/valentin/brillant/titlepage.html