„Die katzen“: Was sich vom Stubentiger des Herrand von Wildonie lernen lässt
„Die katzen“ – ein Tippfehler? Sie schrieb sich noch klein und hieß im Singular nicht „Katze“, sondern „katzen“. Ist ja schon lang her. Viele andere Katzen sind seitdem an uns vorbeigeschnurrt. E.T.A. Hoffmann, Mark Twain, Michael de Montaigne, Charles Dickens, Ernest Hemingway und Charles Bukowski sind ihrem Charme erlegen. Kater Murr, die kleine Peter in der Katzenstadt und die Aristocats haben uns bezaubert. Und schließlich: Schrödingers Katze. Die lehrt uns im 20. Jahrhundert, dass es falsch wäre, die Quantenmechanik als ein „verwaschenes Modell der Realität“ zu begreifen. Von der „katzen“ des Dichters, Politikers und Ministerialen Herrand von Wildonie, der im steirischen Wildon weilte, konnte man schon im 13. Jahrhundert Dinge fürs Leben lernen, die zwar leichter zu verstehen sind als die Quantenmechanik, aber offenbar doch schwerer zu realisieren.
Im Hochmittelalter fanden Bild (Exempel) und Sinn (Morallehre) zueinander und vereinigten sich zur Fabel. Drastisch und abschreckend musste erzählt werden, aber nicht vom Menschen, sondern von der Tierwelt. Der Kater, exzentrisch und sturköpfig, heißt in der Fabel Hinze oder Murr. Die Katze des Herrand bleibt namenlos, ist aber ein eitler Geck, der sich gern in seinem Gegenüber spiegelt und das für Liebe hält: Groß und mächtig muss es sein, dieses Gegenüber, um so auch ihn zu erhöhen. Die Briten sprechen von „scaredy-cat“ als Pendant zum Angsthasen: Ist das nicht die Kehrseite des Wunsches nach einem starken anerkannten Partner? Kommt uns das bekannt vor? Nein, es ist ja von Katzen und Katern die Rede…
Genau deshalb funktioniert es auch. Wir sind den Tieren überlegen. Und die haben allerlei schlechte Eigenschaften, machen Fehler aus denen wir lernen könnten (wenn wir es denn notwendig hätten), ohne diese Fehler selbst machen zu müssen. Die Handlung ist simpel: Trautes Heim, schnurrende Katze. Der Kater denkt „Das kann doch nicht alles gewesen sein?!“ und geht, wie andere zum Zigarettenholen, auf Minnefahrt. Was hier die Suche nach der ultimativen Geliebten ist, kann im übertragenen Sinne als Karriere-Lebensreise gesehen werden: weiter, höher, besser, mächtiger. Hierbleiben wäre Verschwendung, denn: „ein tier sô wolgetân, als ich, daz, wæne ich, iendert sî,“ – nirgendwo anders gibt es ein so schönes Tier wie mich.
Um keine Zeit zu verlieren, wird sofort um die Mächtigste, die Sonne, herumscharwenzelt. Die hat eine deutlichere Sicht auf die Welt und gibt zu bedenken, der Nebel sei mächtiger als sie. Die erste Enttäuschung in einer ganzen Kette von Enttäuschungen: „bî dirre schœne manicvalt/ soltet ir wol hân gewalt“ – Wer so schön ist, müsste doch Macht haben! Das Buhlen um den Nebel ist ergebnislos: der nennt den Kater töricht und den Wind den Mächtigeren. Ist doch nicht alles wie es scheint? Der Wind wiederum verweist auf die Mauer, die ihm Einhalt gebietet. Die Mauer hingegen hält die Maus, die Löcher in sie frisst, für mächtiger. Schon lacht sich der Mensch ins Fäustchen: Sooo dumm ist der Kater also?! Jedes Mal aufs Neue bietet er sein Ovationsinstrumentarium auf, schleudert Komplimente und verliert zunehmend jeden Bezug zur Realität. Es kommt, wie es kommen muss: Die Maus verweist auf die Katze, die sei ihre Herrin.
Das ist der Moment, in dem sich die Geschichte dreht und der Kater ratlos und kleinmütig wird: „Owê, wie wirt gên mir ir gruoz?“ – wie wird sie mich empfangen? Und tatsächlich reckt sich die ausgeruhte Frau Katze genüsslich und meint lapidar: „daz mac mir wol versmân“ – das brauch´ ich jetzt auch nicht. Ein wenig lässt sie ihn betteln, dann erlöst sie ihn großmütig: „swen riuwen wil sîn missetât, des mac mit freuden werden rât“, womit sie sagen will, wer seine Untat bereue, könne diese glücklich überwinden. Und damit keine Missverständnisse auftreten, meldet sich am Schluss der Dichter selbst zu Wort: „Wem ditze mære gelîchen kan, daz sage ich iu“ (Wem diese Geschichte gilt, sag ich euch). Er führt in die menschliche Welt und lässt wissen, dass die Treue zum Gefolgsherrn über allem steht und dass das zugemessene Glück für ein Leben ausreicht. Es fühlt sich an, wie in der letzten Strophe eines Udo-Jürgens-Songs: „Dann steckte er die Zigaretten ein. Und ging wie selbstverständlich heim…“. Die Welt ist wieder in Ordnung. Herrands Worte haben Wirkung entfaltet: „und lâze al sînen übermuot/ und habe die katzen sîn für guot./ den rât iu râtet Herrant/ von Wildonie genant.“ So, jetzt wissen wir´s!
Mein geschätzter Lehrer an der Uni Graz, Wernfried Hofmeister, hat mir mit solchen Geschichten das Tor zur mittelalterlichen Literatur- und Sprachwissenschaft geöffnet. Das Institut macht seine Gegenüberstellung (mittelhochdeutsch/ neuhochdeutsch) samt Kurzbiografie des Herrand von Wildonie, des Schwiegersohnes des Ulrich von Liechtenstein, ergänzt um Quellenangaben uns allen auch im Netz zugänglich: https://gams.uni-graz.at/context:lima.herrand Dort sind jede Menge sprachliche Highlights zu entdecken: Wenn die Maus sagt, dass sie für ihn nicht aus dem Loch käme („ich kume zuo iu niht für daz hol“), mutet uns das iu wie das Englische you und das hol wie das englische hole an – und wir haben etwas über Lautverschiebung gelernt. Oder dass „daz wîp“ nicht despektierlich ein Weib, sondern die Herrin bezeichnet: Bedeutungsveränderung. Vieles andere mehr lässt sich im Text entdecken. Folgen Sie den Samtpfotenspuren von Herrands Katze und lernen Sie, wie es in der Tierwelt zugeht. Natürlich sind wir Menschen ganz anders 😊
Textquelle und ergänzende Angaben:
Herrand von Wildon. Die Katze. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung ins Neuhochdeutsche von Wernfried Hofmeister. Texte zu den Steirischen Literaturpfaden des Mittelalters. Heft 3. Karl-Franzens-Universität Graz.
Interessant ist der neuzeitliche Umgang mit diesem „bîspel“ (der beispielhaften Erzählung), als Cartoon aufbereitet: https://gams.uni-graz.at/context:lima.herrand/COPY2
Einer, dem Herrands Katze Inspiration war ist der Schriftstellerkollege Andreas Unterweger. Er beschenkt uns mit feinsinniger Katzenlyrik: „KATZENSPRACHE. Drei Variationen auf Herrand von Wildon: Die Katze“:https://andreasunterweger.wordpress.com/tag/herrand-von-wildon/
Ebenso ist zu erfahren, dass Franz Zebinger die Fabel als Oratorium vertont hat: Die Entrada aus der Uraufführung Pfarrkirche St. Magdalena Wildon (14.9.2019) dauert 1:38 Minuten und es handelt sich keineswegs um Katzenmusik: https://www.youtube.com/watch?v=c4fXxInSS6o
Im nächsten Monat lassen wir uns von der im Vorjahr als Hundertjährige verstorbenen Ilse Helbich erzählen, „Wie das Leben so spielt“. Von „drei literarischen Dorfgeschichten“ ist immer wieder sie Rede, wenn das Buch rezensiert wird.
Lassen wir uns überraschen…