Was bleibt oder: Briefe „Aus dem Felde“
Was es braucht, um ein gutes Buch zu machen, ist nicht gerade wenig. Da wäre zuallererst der Stoff, dann der Anlass, dann der, der ihn für die Leser aufbereitet. Und über alledem der Bedeutungszusammenhang für die Lesenden.
Der Stoff kann fiktiv sein oder darstellen, „was das Leben schreibt“. Josef Mitterwallner fand die Feldpostbriefe seines Großvaters Martin Mitterwallner aus 1940-1945. Sie sind in Kurrentschrift verfasst und damit in einem fremden Code, den es erst zu entschlüsseln galt. Der Gedanke, diese zu transkribieren, war schnell gefasst.
Dass daraus ein Buch werden konnte, dazu brauchte es noch vieles. Peter Gruber, den wir bei einem herzerwärmenden Leseabend in der Österreichischen Kulturvereinigung kennengelernt haben und der sich in seiner Bescheidenheit erst am Schluss des Buches zu Wort meldet, wurde von Josef Mitterwallner, dem Enkelsohn des Nachlassbewahrers Martin Mitterwallner, für die redaktionelle Entwicklung herangezogen.
Dass diesem Buch ein Familienstammbaum vorangestellt ist, macht es besonders wertvoll. Die Kurzbiographien und Fotografien der Schreiber der Briefe (Stefan, Paul und Josef Mitterwalllner, der Mutter Maria Mitterwallner und ihres Bruders Kaspar Buchsteiner, sowie des Ziehsohnes Leonhard Thurner) machen die Schreiber vorstellbar. Manche davon und zeigen sie als das, was sie sind: eine Generation junger Männer, austauschbar, auf Fotos in Uniform, Fotos wie wir alle sie aus unseren Familien kennen. Dass eines der Bilder auf der Rückseite den schlichten Vermerk „gefallen“ trägt, sagt eigentlich alles über diese Zeit.
Die Briefe wurden in ihrer originalen Schreibweise wiedergegeben. Sie sind unverändert hinsichtlich der Rechtschreibung, Satzzeichen, Groß- und Kleinschreibungen, Umgangssprache und das macht das Buch auch für Sprachwissenschafter besonders wertvoll. Gleichzeitig dokumentiert es die wertschätzende und vorsichtige Herangehensweise des Herausgebers und des „Übersetzers“, wie Peter Gruber seine Rolle sieht.
Unabhängig vom Inhalt ist der sprachliche Duktus ein anderer, wenn sie mit „Lieber Bruder!“ oder „Lieber Bruder und liebe Schwägerin!“ oder „Meine Lieben“ oder „Lieber Pathe!“ übertitelt sind. Erhalten ist auch ein Brief einer jungen Frau, übertitelt mit „Lieber unbekannter Soldat“. „Lieber Sepp!“ schreibt die Mutter. In den Dokumenten sind oftmals Anrede oder Ortsangabe oder als besonders wichtige Textstellen durch Verwendung der lateinischen Schrift hervorgehoben. Die Ortsangaben auf den Briefen lauten manchmal vorsichtig nur „Nordosten“ oder „Ostfront“ beziehungsweise „Im Felde“. Es finden sich neben den jeweils in Druckschrift übertragenden Briefen auch Dokumente, so zum Beispiel die Ablehnung eines Urlaubsgesuchs, eine Feldpost-Weihnachtskarte aus 1941 oder andere wichtige. Dokumente der Zeit, so etwa ein Brief vom Februar 1944 an Mitterwallner als Bürgermeister, in dem es um die Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus Wien geht oder die Beurkundung für eine Spende im Zuge der Straßensammlung des Kinderhilfswerks sowie ein Merkblatt mit Handnotizen betreffend Pferde. Aufbewahrt sind sie in einer Flügelmappe mit der Aufschrift „Ablegemappe“ die auf eine frühere Verwendung hinweist („Post für Schulleitung“) später „Soldatenbriefe“ lautet. Dort warteten sie fast sechs Jahrzehnte auf ihre Entdeckung und weitere Jahre darauf, dass sie in eine Form gebracht wurden, die wir jetzt lesen dürfen.
Zu verdanken haben wir dem Herausgeber Josef Mitterwallner auch, dass sich der älteste Sohn des Nachlassbewahrers als Zeitzeuge zu Wort meldet. Josef Mitterwallner vermerkt dazu, dass es eine besondere Ehre ist, aus den handschriftlichen Erinnerungen seines Onkels einige Seiten abdrucken zu dürfen. Weiters hat der Herausgeber das Buch auch für die dörfliche Umgebung gemacht. Es enthält am Ende nämlich eine Übersicht der im Weltkrieg 1939 bis 1945 Umgekommenen. Neben den zivilen Namen werden beispielsweise auch die Familienherkunft oder -zugehörigkeit ausgewiesen, etwa „Georg Buchsteiner, Ellmersohn“ oder „Johann Wirl, Fallhauknecht“.
Wie es Peter Gruber gemäß ist, tritt er spät und kurz vor den Vorhang; nicht als Autor., denn hier gibt es keine Autorenschaft, nur die Dienstbarkeit des Übersetzers. Er erzählt von der Erstbegegnung mit dem Enkel Josef Mitterwallner. Bei einer Lesung eines der Romane von Gruber („Notgasse“) lernten die beiden einander kennen: Anlässlich der Romanvorstellung trat ein Gesangsquartett auf, Josef ist Mitglied dieses Ensembles. Mehrere Begegnungen und Gespräche folgten, schließlich wurden die Briefe übergeben. Einen Sommer lang las Peter Gruber, der jeden Sommer als Hirte auf der Alm ist, die Briefe und Schriftstücke. Ihm war schnell klar, dass es sich dabei um besonders erkenntnisreiche Zeugnisse handelt. Erfahrungen, die er als Schreiber historischer Romane erworben hat, boten ihm gute Voraussetzungen, beim Vorhaben mitzuwirken.
Wenn er abschließend sagt, „Es ist mir eine Ehre, dieses Feldpostbuch redaktionell entwickelt haben zu dürfen“, so können wir als Leser es ebenfalls als Ehre empfinden, diese Briefe lesen zu dürfen. Hier erleben wir hier Geschichte als Resultat von. Lebensereignissen – anders und deutlicher als es uns ein Geschichtsbuch vermitteln kann.
Daten zum Buch: Feldpost 1940-1944. Briefe aus dem Nachlass von Martin Mitterwallner. Herausgeber: Martin Mitterwallner, Sonnberg 26, 5552 Forstau. Privatveröffentlichung (2021). 164 Seiten.
Das Buch ist erhältlich beim Übersetzer Peter Gruber: www.peter-gruber.com.
Vorschau auf den März: „Nincshof“ erschien im Juli 2023 als Debütroman der in Hamburg lebenden Burgenländerin Johanna Sebauer (Jahrgang 1988). Das ungarische „nincs“ markiert eine Verneinung. Der „Nicht-Hof“? Was wäre, wenn es ihn nicht gäbe, die ganze Siedlung verschwunden wäre? Philosophie, gepaart mit Sinneslust erwartet Sie!