70 Jahre ÖKV
70 JAHRE ÖSTERREICHISCHE KULTURVEREINIGUNG 35 rechtigt darauf hingewiesen wurde, dass sich in Österreich fast niemand um die Emigranten gekümmert habe, so ist gerade der ‚Turm‘ als eine der – leider zu seltenen – Aus- nahmen anzusprechen.“ 9 Auf der anderen Seite gab es vereinzelt unter den Auto- ren auch solche, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangiert hatten, wie Max Mell oder der Theaterkritiker Siegfried Melchinger, der laut Seefehlner zwar „minder- belastet“ aber für die Redaktion des ‚Turm‘ maßgebend war 10 . Hierfür war wohl wieder die bereits angesprochene menschliche Milde Seefehlners gegenüber dem Einzelnen verantwortlich, die er in seinen Memoiren so begründete: „Nie habe ich den Standpunkt eingenommen, man dürfe nicht verzeihen, denn ich hatte gesehen, wie verlockend die Vorteile einer Zugehörigkeit zur NSDAP waren (...). So bemühte ich mich, mit größtem Verständnis zu handeln, das aber dort seine Grenzen hatte, wo ich mit Verstößen gegen die primitivsten Regeln des Anstandes konfrontiert war. Schriftsteller wie etwa Hans Heinz Stuckenschmidt oder Siegfried Melchinger waren für mich nämlich der Be- weis, daß man auch im Dritten Reich sehr wohl seinem Be- ruf ohne derartige Verstöße nachgehen kann.“ 11 So scheint es auch nicht verwunderlich, dass 1947 gerade im ‚Turm‘ eine viel beachtete, ausführliche und sehr kon- troversielle Auseinandersetzung um den österreichischen Dichter Josef Weinheber angestoßen wurde. Der Antise- mit und Parteigenosse, der noch in den 1930er-Jahren zwischenzeitlich mit dem Ständestaat geliebäugelt hatte, 9 ebda. 10 Seefehlner: (1983), S. 85 11 ebda. S. 88ff. Das Gedicht „Wisse, Mann!“ von Franz Theodor Czokor im‚Turm‘ (1. Jg. Heft 8, März 1946) Die Anzahl von Emigranten unter den Au- torInnen des ‚Turm‘ war ungewöhnlich hoch. Franz Theodor Csokor, Ernst Waldin- ger, Hans Weigel, Theodor Kramer und Hil- de Spiel waren nur einige davon.
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